Die Technikgeschichte ist eine unerschöpfliche Quelle intellektueller Irritation und muss sich mit tiefgreifenden, lang- und kurzfristigen Veränderungen sowohl der technologischen Bedingungen als auch der gesellschaftlichen Auswirkungen auseinandersetzen. Die Erkenntnisse des Feldes stammen aus einer sorgfältigen Analyse komplexer Zusammenhänge. Während Technikhistoriker früher die gesellschaftliche Gestaltung von Technik untersuchten und später zu Dienern der Impact-Forschung wurden, verfolgt die Technikgeschichte an der ETH ein streng relationales Programm: Weder halten wir uns an die Märchen von Pionier- und Führungsmodellen, noch unterwerfen wir uns irgendeiner Form von Technikdeterminismus. Stattdessen erwies sich die Suche nach soziotechnischen Problemen, die in mühsamen Verhandlungen, schwierigen Umdeutungen und weitreichenden Anpassungen bewältigt werden mussten, als äusserst produktiv. Diese Prozesse hinterliessen sichtbare Spuren in den Archiven. Archive lassen uns verstehen, wie und warum eine bestimmte Lösung zustande kam. Archivalien zeigen aber auch, inwiefern eine solche Lösung das zentrale Problem der nächsten Runde von Verhandlungen und Anpassungen produzierte. Die Abwägung zwischen Machbarkeit, Notwendigkeit, Hoffnung und Angst bringt eben gleichzeitig interessante Lösungen und neue, hin und wieder noch spannendere Probleme hervor.
Für ein dogmatisches Forschungsprogramm oder ein standardisiertes methodisches Vorgehen ist in der Technikgeschichte kein Platz. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Technikhistoriker mit technischen Gegebenheiten auskennen müssen, die völlig verschwunden sind oder eigentlich kaum noch eine Rolle spielen. Gleichzeitig müssen sie eine Sensibilität für seltsame Argumente und merkwürdige Assoziationen zeitgenössischer Akteure und Artefakte entwickeln. Wir nennen das eine Konfiguration.
Um das Problem des close-reading von riesigen Mengen an Archivmaterial zu lösen, hat die Professur für Technikgeschichte an der ETH eine intensive Zusammenarbeit zwischen eigenen Forschungsprojekten, den Wissenschaftlichen Informatikdiensten der ETH und den einschlägigen Archiven begonnen. Methodisch arbeiten wir an der projektbezogenen massiven Retrodigitalisierung für historische Dokumente, haben ein leistungsfähiges Suchwerkzeug für Archivmaterialien gebaut und experimentieren mit analytischen Werkzeugen wie dem topic modelling. Derzeit arbeiten wir mit dem Bundesarchiv in Bern, den Archiven an der ETH Zürich, am CERN in Genf, den Zentren für Supercomputing in Lugano und Stuttgart sowie mit den Archiven öffentlicher und privater Unternehmen wie Oerlikon Balzers oder der PTT.