Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts wurde aus Geist in vielen Disziplinen Kultur. Das Leiden an der ewigen Wiederkehr des Gleichen fand ein unglückliches Ende, als der Kanon vieler geisteswissenschaftlicher Fächer im Zuge dieser Entwicklung in die Luft gejagt wurde. Dennoch hält die Philosophie – neben der Theologie – bis heute und fast überall an einem »heiligen« Kanon von Quellen fest. Sie ist darüber aber auch nicht froh geworden.
Der amerikanische Philosoph Stanley Cavell verschließt sich kanonischen Autoren wie Aristoteles, Locke, Kant oder Nietzsche nicht, doch beschäftigt er sich auf eine für die Philosophie ungewöhnliche Weise auch mit dem Hollywood-Film, mit moderner Literatur und mit der Oper. Damit geht Cavells Forderung einher, auf die Umgangssprache zu achten, um jene terminologische Verschattung der Philosophie zu verhindern, die sie zu einer Pseudowissenschaft macht und ihr den Sinn für das Alltägliche raubt. Sein Anliegen verbindet Cavell mit der antiken Vorstellung, Philosophie habe Selbsterkenntnis zu sein. Das Streben nach Selbsterkenntnis bedeutet für ihn die Suche nach und im Idealfall das Auffinden einer eigenen Stimme. Diese Suche findet überall statt: auf der Opernbühne, bei dem im Hollywoodfilm streitenden und sich wiederverheiratenden Ehepaar – oder eben im philosophischen Text.
Die Suche nach der eigenen Stimme
Stanley Cavell: Nietzsche • Maria-Sibylla Lotter: Nietzsche in Amerika. Über menschlichen und unmenschlichen Perfektionismus • Elisabeth Bronfen: Stanley Cavells Cultural Conversations – Ein Denken zwischen Philosophie, Film und Literatur • Michael Hampe: Die eigene Stimme in der Psychoanalyse: Stanley Cavells Freud
Essays
Katia Saporiti: Geschichte der Philosophie und analytische Philosophie – Ein Gegensatz? • Jakob Tanner: Das Rauschen der Gefühle • Helmut Lethen: Die Evidenz des Schmerzes • Sander L. Gilman: Infectobesity: Fettsucht als Infektionskrankheit
Lektüren
Marcel Weber: Wissenschaftsgeschichte als Epistemologie • Valentin Groebner: Das Charisma des Professors und seine Halbwertszeit
Dialoge
"This is not America": Stanley Cavell im Gespräch mit Wolfram Eilenberger • Wolfram Eilenberger: Die Befreiung des Alltäglichen. Die Sprachphilosophien Stanley Cavells und Michail Bachtins.