Statdpläne - Eine "Archäologie" des Städtebaus in der Schweiz 1940-1970
Dr. Angelus Eichinger
Die Meinungen über die schweizerischen Städte sind meist rasch gemacht. Auf der Seite der Architekten beklagt man seit langem, dass das Land, wie Paul Hofer in den 1960er Jahren konstatierte, "ohne echten Willen zur Stadt" sei. Lucius Burckhardt, Mitinitiant von "achtung: die Schweiz", bemerkte im gleichen Zusammenhang kürzlich, dass es in der Schweiz wohl nur eine kleine Gruppe von Intellektuellen gebe, für welche Urbanität tatsächlich ein Bedürfnis sei. Auf der anderen Seite geraten Architekten und Städtebauer immer wieder auf die Anklagebank, mit verfehlten städtebaulichen Vorhaben in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg die Städte zerstört zu haben.
Ein genauerer Blick auf die städtebaulichen Debatten jener Jahre und die Untersuchung konkreter städtebaulicher Projekte zeigt, wie wenig im Grunde diese Positionen zu erklären vermögen. An die Stelle von Pauschalisierungen tritt dabei ein facettenreicher Einblick in die verschlungenen Modernisierungsprozesse, in welchen sich die Städte entwickelt haben. Damit erhellt sich gleichzeitig auch das schwierige Verhältnis zwischen Architektur, Städtebau und Gesellschaft, das die Ursache für diese Pauschalisierungen bildet.
Semesterprogramm
03.04.2002
Einführung
- Stadtpläne - Vorstellungswelten vs. gesellschaftliche Realitäten
- Der "antiurbane Reflex" - Anmerkungen zur urbanistischen Diskussion in der Schweiz
- Lokale städtebauliche Praxis - ein Vorschlag
- Wissenschaft als "work of cultural extension" (Pickering)
- Aufhebung des Gegensatzes von Theorie und Praxis
- Statt grosser Theorie - Suche nach städtebaulichen Heuristiken
- Städtebauliche Praxis - an Städten bauen als Bestandteil eines gesellschaftlichen Wandels
10.04.2002
Raum für den neuen schweizerischen Menschen - städtebauliche Fundamente
- Die Abteilung "Planen, Bauen und Wohnen" an der Landesausstellung 1939 - der Architekt als Baumeister der schweizerischen Industriegesellschaft
- Die Ausstellung "Städtebau und Landesplanung" - Andeutungen einer industriegesellschaftlichen Zukunft
- Hans Schmidt - prototypischer Repräsentant eines umfassenden Architekturverständnisses
- Städtebauliche Praxis um 1940
- Zwischen Ankündigungen radikaler Transformationen und vorsichtigen Tastversuchen
- Ein Alternativprogramm: Abendkurse in Städtebau
- Der BSA-Vorstoss für ein ETH-Institut für Städtebau
- "Praktischer Städtebau" an der ETH - Städtebau als introspektiver künstlerischer Akt
17.04.2002
Ordnung, Organismus und Körper - Zur Verbindung von Siedlungsplanung, Städtebau und Landesplanung
- "Organisch" und "Organismus" - neues Vokabular für einen neuen Umgang mit der Stadt
- Pathologisierung der Stadt
- der Architekt als Arzt
- "organische Ordnung" als räumlicher Idealtypus
- zum Beispiel Bernoullis städtebauliches Standardwerk "Die organische Erneuerung unserer Städte" (1942)
- Harmonie, Begrenzung und Integration - Orientierungspunkte einer revidierten Raumordnung
- Siedlung: Grundelement einer kohärenten Raum- und Gesellschaftsstruktur
- Einwurf: Boris Groys - Avantgarde: "Fundamentalismus der Zukunft" statt Fortschreiten: die komparative Statik der Orientierung an Endzuständen
- Gemeinsamkeiten städtebaulicher Vorgehensweisen in den 1940er Jahren
- Aufbau einer neuen Raumordnung aus kleinen nachbarschaftlichen Einheit
- Raum als "Verfügungsmasse" (Sennett)
- Skepsis gegen über Dichte und funktionaler Mischung
- Konservative Utopie
24.04.2002
Das grosse Missverständnis - Städtebau versus Rechtssprechung
- Städtebau als raumstrukturierender Gesellschaftsentwurf
- Unterschiedliche Interpretationen des Verhältnisses von Individuum und Gemeinschaft als Ausdruck unvereinbarer Positionen
- Das Baurecht der Architekten - Emil Roths Vorschlag für eine neue Zürcher Bauordnung
- "Koordination nicht Erfindung" - enge Spielräume für städtebauliche Neugestaltungen
- Zonenpläne als Revolutionierung der Gesellschaft?
- Die Bundesgerichtsentscheide zu Uitikon und Zürich Seebach - Demontagen planerischer Minimalanforderungen
15.05.2002
Städtebau in unklaren Zeiten - A.H. Steiners Städtebau für Zürich
- Steiners "Patchwork Identity"
- Städtebauliche Bricolage als Antwort auf städtebautheoretische Unsicherheiten
- Steiners Kleeblatt: suggestive Metapher eines städtebaulichen Pragmatismus
- Die latente Stadtskepsis als Indiz fachlicher Aufgeschlossenheit
- Städtebauliche Praxis
- Steiners Amtszeit als beispielhafte Illustration der beschränkten Macht des Städtebauers
- Gesellschaftlicher Kontext als Bestimmungsgrössen von Steiners städtebaulichem Einfluss
- Gemeinnütziger Wohnungsbau als Voraussetzung der "Verwirklichung von städtebaulich-ethischem Gedankengut"
- Die juristische Demontage der Zürcher Bauordnung von 1947
- Das Allgemeine des Einzelfalls: Städtebau als kontextabhängiges Zeichensystem
22.05.2002
Die Neue Stadt als Katalysator einer modernen Gesellschaft?
- Die Neue Stadt als "gegenwärtige Zukunft" und Ausdruck gewachsenen Vertrauens in die disziplinäre Kompetenz
- Der Architekt als spiritus rector der Stadt
- Wissenschaftlichkeit, Kalkulierbarkeit, Prognosefähigkeit als Prinzipien städtischer Komplexitätsreduktion
- Archigram, Lynch und Rossi als dialektische Gegenbewegung zur Neuen Stadt und Spiegel ihrer Eigenheiten
- Städte als Vergrösserungsglas der Gesellschaft - Städtebau als Gesellschaftskritik
- Max Frischs "Cum grano salis" - das Moderne als Ausdruck authentischer Lebensgestaltung
- "achtung: die Schweiz" - ein "Pamphlet" für eine zeitgemässe Schweizer Stadt
- Drei thematische Schwerpunkte: Zeitgemässe Architektur; Modernisierung als Veränderung von Mentalität; Städtebau als demokratischer Prozess
- "achtung: die Schweiz" als Paradoxie moderner Fortschrittsbemühungen: das Objektive als das Wissenschaftliche
29.05.2002
Im städtebaulichen Labor - die Neue Stadt in Otelfingen
- Neue Zugänge zur Stadt
- Stadt als industriegesellschaftlicher Totalentwurf
- Der planerische "walk on the wild side": Justierung einer Modernität
- Arbeiten an der Soziologie der zeitgemässen Stadt
- Requisiten 1: z.B. Werner M. Moser: "Architekt = Arzt - das ist richtig u. Soziologe"
- Requisiten 2: CIAM-Habitat - die Suche nach den "agglomerations humaines"
- Paralleler stufenförmiger Aufbau von gesellschaftlicher und räumlicher Strukturierung
- Zuversichtliche Stadtsoziologie und ihre Mängel
- Die Grenzen der Planbarkeit
05.06.2002
Hochhäuser - gestutzte Metaphern des Fortschritts
- Hochhäuser haben Konjunkturen
- Die Geschichte der Hochhäuser als Geschichte ihrer Absenz - die schweizerische Hochhausdebatte 1950-1965
- Planerischer vermessener Bestandteil der zeitgemässen Stadt
- Beispiel 1: Ein Hochhausprojekt in Spreitenbach (1955-1958)
- Der Normalfall: Baupolitik ohne Bauordnung
- Eine Koalition aus Natur- Landschafts- und Heimatschutz gegen ein bizarres Projekt
- Beispiel 2: Aus Hochhaus "Zur Palme" 1956-1964, Zürich (Häfeli Moser Steiger)
- Auf der Suche nach einem neuen Umgang mit der City-Bildung
- Eine städtebauliche Dominante für das Zürcher Enge-Quartier und ein Baustein für eine etappierte "tabula rasa"
- Networking für einen architektonischen Meilenstein
- Die "Palme" als Chiffre einer modernen, mobilen Schweiz
- Das Hochhaus als "ungeliebter Regelfall" - bleibende Skepsis gegenüber einem Bautyp
12.06.2002
Städtebautheoretische Retuschen - der halbe Abschied vom "ästhetischen Städtebau
- Um 1960: Die Neue Stadt - gescheiterter städtebautheoretischer Befreiungsschlag
- Hoeslis Handbuch-Artikel von 1957: Krisenindizien und Ernüchterung
- Werner M. Mosers Formel vom allgemeinen Chaos
- "Die gegliederte und aufgelockerte Stadt" - Schlusspunkt eines städtebautheoretischen Modells
- Die Wiederentdeckung der Urbanität (Salin 1960)
- Der "neue" Zugang zur Stadt: "Urbanität durch Dichte"
- Schweizer Reaktionen: Zum Beispiel Hubers Votum gegen den ästhetischen Städtebau
- Urbanität: Adjustierung bisheriger Denkgewohnheiten
- Walter Förderers Vorschlag zum Stadtumbau
- Das Verkennen der "Pathologie der Planungsprozesse" (Peter Hall)
19.06.2002
Die Überbauung Oberes Murifeld - Andeutungen und Fragmente einer alternativen Siedlungsentwicklung