Vermessung und Landschaft Technikgeschichte einer Eroberung

Prof. David Gugerli

Das 19. Jahrhundert ist das Zeitalter des nation building. Dieser politische und gesellschaftliche Prozess geht nicht nur mit dem Aufbau moderner Bürokratien und der Schaffung politischer Systeme bürgerlicher Orientierung einher. Nation building ist auch sehr stark an die "bricolage d'une identité nationale" (Guy Marchal) gebunden. Diese Erfindung der Nation (Benedict Anderson) stützt sich dabei auf eine Allianz des politischen Systems mit wissenschaftlichem Know-how im Bereich der Statistik, der Sozialhygiene und der Kartographie. Die Vorlesung und das Kolloquium "Vermessung und Landschaft" stellen - vor allem am Beispiel der Schweiz - die Bedeutung trigonometrischer Vermessung und topographischer Erhebung für die Konstruktion eines kartographisch transparenten Raumes dar. Sie thematisieren Vermessung als technisch-wissenschaftliche Praxis, die im Kontext des jungen Bundesstaates Landschaft so erfasst hat, dass sie sowohl für die Ausbildung geographisch orientierter, nationaler Identitäten als auch für neue "Grosstechnische Systeme" (Thomas P. Hughes) wie zum Beispiel Eisenbahn, Telegraphie und Kunststrassennetz verfügbar gemacht werden konnte.


Semesterprogramm

22.10.1998
Wildnis und Landschaft als Vermessungsobjekte

  • Trigonometrische Klarheit
  • Schreckliche Berge, zivilisatorische Endstation, frühneuzeitliche Wildnis und erhabene Berge
  • Die “Ritter-These”
  • Kartographisch-technische Wildnis Ende des 19. Jhts.
  • Rekonstruktion von alpiner und zivilisatorischer Wildnis durch die Vermesser
  • Aussichten und Blickökonomie
  • Landschaftsfilter und Instruktionen
  • Geschaffenes und geordnetes Land
  • Naturbeherrschung am vermessenen Land

05.11.1998     
Die wissenschaftlich-technische Landschaft des jungen Bundesstaates Wildnis und Landschaft als Vermessungsobjekte

19.11.1998
Präzisionsmessung: Kalkulierte Heterogenität

  • Topoi der Kartographiegeschichte
  • Alternative Beschreibung
  • Grenznutzen der Präzision
  • Eigendynamik der Präzision
  • Die Heterogenität von Teil-Präzisionen
  • Basisvermessung als Präzisionsprominenz
  • Beispiel: Aarberg 1834
  • Rechnerischer Abbau des Präzisionsüberschusses

03.12.1998
Aufschreibesystem und Datentranspositionen: Bilderverlust und Dispositionsgewinne

  • Betrachtungen vs. Tabellenausblicke
  • Beinarbeit
  • Aufschreibesystem
  • Datentransposition / Prozesse / Instrumente
  • Verschwinden des Subjekts und des Autors
  • Bilderverlust / Ersatzsinnlichkeiten
  • Dispositionsgewinne und das neue Bild

17.12.1998
Politischer Kontext: Die Transparenz topographisch-politischer Räume

  • Landschaftsvermessung, Aufklärung und Ancien Régime (am Beispiel von Micheli du Crest)
  • Regeneration: Der kartographische Bundesstaat „avant la lettre“?
  • Beispiel 1: Politische Implikationen von Massen
  • Beispiel 2: Sauberkeit und Transparenz
  • 1847/48 oder die Eschatologie der Transparenz

07.01.1999
Verwendungskontexte: Der soziotechnische Habitus des 19. Jhts.

  • Militär 1847/48: Eschatologie der Transparenz
  • Prospektive Verwendungen
  • Universalismus der Karte
  • Geologie / Alpinismus
  • Eisenbahn-, Strassen und Wasserbau
  • Infrastrukturen des 19. Jahrunderts.
  • Habitus

21.01.1999
Die Karte als nationalstaatliches Medium

  • 1. Mapping is not a genre of scientific representation (is not a mirror of landscape) but a medium.
  • 2. Cartography is a medium of exchange between the human and the natural, the self and the other. As such, it is like money. good for nothing in itself, but expressive of a potentially limitless reserve of value
  • 3. Like money, cartography is a social hieroglyph that conceals the actual basis of its value. It does so by naturalizing its conventions and conventionalizing its nature.
  • 4. Maps contain a natural scene mediated by culture. It is both a represented and presented space, both a signifier and a signified, both a frame and what a frame contains, both a real place and its simulacrum, both a package and the commodity inside the package.
  • 5. Cartography is a medium found in all cultures.
  • 6. Cartography is a particular historical practice associated with European imperialism and nationalism.
  • 7. Theses 5 and 6 do not contradict one another.
  • 8. Cartography is not an exhausted medium.
  • 9. The cartography referred to in Thesis 8 is the same as that of Thesis 6.

04.02.1999
Nation als kartographischer Raum