Dr. Rachele Delucchi, Dr. Barbara Berger

Technische Turmbauwerke sind Orte des Verteilens, des Speicherns und des Umwandelns. Diese Funktionen sind eng mit ihrer vertikalen Ausrichtung verbunden. Weit aufragende Fernsehtürme können Signale besser verteilen, Wassertürme ermöglichen einen konstanten Druck für die Wasserverteilung und Destillationstürme organisieren die schrittweise Fraktionierung des Rohöls. Ihre Funktion erfüllen Türme im Alleingang oder als Element eines homogenen oder heterogenen Kollektivs. Aussichtstürme steuern die Blicke der Besucher auf die Umgebung autonom; eine breitflächige Waldbrandbekämpfung kann auf ein Infrastrukturnetz von Feuerwachtürmen setzen; die turmartigen Baukörper eines Industriegeländes oder eines Raketenstartplatzes organisieren ein optisch sowie funktionell durchmischtes Ensemble. 

Im Seminar sollen technische Turmbauwerke auf kultur-, technik- und konstruktionshistorische Dimensionen befragt werden. Warum wurden Türme gebaut? Wie organisierten technische Turmbauwerke die Wahrnehmung, die Kontrolle und den Gebrauch des Raumes neu? Wie entwickelte sich im Umgang mit Türmen – durch ihr Erscheinungsbild selbst, beim Auf- und Ausstieg, durch Füllung und Leerung, sowie durch ihre Nutzung – ein neues Verhältnis zwischen Sichtbarkeit und Aussicht, zwischen Nähe und Weite, zwischen Kommunikation und Kontrolle, zwischen Vergangenheit und Zukunft? Wie prägte die Funktion des Turms ihre Form? Wie veränderten Umnutzungen oder Erweiterungen bewährte und bekannte Turmtypologien, sodass sich einzelne Türme zum Unikum entwickelten?

Wir werden mit Ansätzen der Konstruktions- und der Technikgeschichte diese Fragen beleuchten. Studierende werden mit den wechselseitigen Abhängigkeiten von technischem, architektonischem und sozialem Wandel vertraut gemacht. Der erste Teil des Seminars ist der Lektüre von Sekundärtexten und der methodischen Einführung (Dokumentationsarbeit anlässlich Ortsbegehungen, Einordnung und konstruktive Analyse der Bauwerke, Recherchearbeit in Archiven, Quellenanalyse) gewidmet; im zweiten Teil werden in Gruppenarbeit einzelne Objekte, Ensembles oder infrastrukturelle Turm-Netze untersucht.