"september eleven" Terror, Medien und Deutungsmuster in historischer Perspektive

Prof. David Gugerli und Prof. Philipp Sarasin

Es kommt selten vor, dass beinahe noch am Tag eines Ereignisses dieses als "welthistorisch" eingestuft und zur Epochenschwelle erklärt wird. Die beiden Anschläge auf die Türme des World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 waren solche Ereignisse. Seither sei "die Welt eine andere", sagen viele, und sie machen damit die Welt zu einer andern: Der Elfte September wird als Schwelle, ja als Einschnitt gedeutet, der das 20. vom 21. Jahrhundert trennt; dass diese Behauptung einer "anderen Welt" auch unmittelbare politische, wirtschaftliche und kulturelle Konsequenzen hat, verwundert nicht.
Dabei scheinen sich Epochenschwellen immer schneller zu folgen. Wurde nicht schon der Fall der Berliner Mauer 1989 oder der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 als das Ende des 20. Jahrhunderts bezeichnet, so dass wir folglich bis zum 9.11.01 in einem namenlosen Zeitloch zwischen den Jahrtausenden lebten? Die Behauptung solcher Schwellen, das wird hier deutlich, ist problematisch, und es wäre primär zu fragen, ob sie nicht immer erst nachträglich zu bestimmen sind. Es gehört jedenfalls zu den Aufgaben von Historikerinnen und Historiker, die Skepsis gegenüber kurzatmigen "welthistorischen" Festlegungen in erkennbar politischer Absicht wachzuhalten und auf der Notwendigkeit von historischer Tiefenschärfe und einem Sinn für langfristige Trends zu beharren.
In dieser Lehrveranstaltung soll die Frage, inwiefern und ob überhaupt der "september eleven" eine Schwelle oder zumindest eine Weiche, eine Art Sorter für aktuelle Entwicklungen darstellt, und ob er damit mit ähnlichen Ereignissen - wie zum Beispiel dem Sturm auf die Bastille vom 14. Juli 1789 - verglichen werden kann, in vier thematischen Feldern untersucht werden:
1. Politik: Staat/Krieg/Terrorismus;
2. Selbstbild: Bedrohung/Sicherheit;
3. Technik: Netzwerke/Medien/Globale Kommunikation;
4. Theorien: Analysen/Deutungsmuster.
Zu jedem dieser vier Themenfelder sollen ca. drei Sitzungen abgehalten werden; die einzelnen Ereignisse vom 9.11. stehen dabei nicht im Zentrum.

Semesterprogramm

01.04.2003
Einführung

Filmausschnitte/Problematisierungen/Fragen/Seminarorganisation

08.04.2003
Theorien

Analysen/Deutungsmuster: Was ist eine "Epochenschwelle"?

15.04.2003
Technik

Netzwerke/Medien/Globale Kommunikation: "Breaking news". Wie kommt ein real-time-Anschlag zustande?

29.04.2003
Technik

Netzwerke/Medien/Globale Kommunikation: Anthrax-Angst und Medialität

13.05.2003
Selbstbild

Bedrohung/Sicherheit: "Schläfer", "Terrorzellen", "Fundamentalisten"

20.05.2003
Selbstbild

Bedrohung/Sicherheit: Neue Gesetze zur Inneren Sicherheit in historischer Perspektive

Sondersitzung über Mittag

Erarbeitung von Seminararbeitsthemen

27.05.2003
Selbstbild

Bedrohung/Sicherheit: Geschichte der Identifikationstechniken

03.06.2003
Theorien

Analysen/Deutungsmuster: Huntington-These: Clash of Civilizations

10.06.2003
Politik

Staat/Terrorismus/Krieg: Was heisst "Terror"? Was heisst "Terrorismus"?

17.06.2003
Politik

Staat/Terrorismus/Krieg: Neue Kriegskonzepte, Neue Kriegswahrnehmung

24.06.2003
Politik

Staat/Terrorismus/Krieg: Neue Theorien zum Konzept des Staates - das Konzept des Empire

01.07.2003
Schluss

"september eleven" als Epochenschwelle? Synthese und Diskussion der Ergebnisse