Grafik zur Illustration der komplexen biologischen Netzwerke. Bildnachweis: Ralph Schlappbach, FGCZ

Sichtbare Netzwerke

Forschungspolitik und Life Sciences im 21. Jahrhundert

Alban Frei

Das Dissertationsprojekt „Sichtbare Netzwerke“ untersucht die jüngsten Transformationen in der schweizerischen Forschungspolitik und in den postgenomischen Lebenswissenschaften am Beispiel von SystemsX.ch. SystemsX ist ein Forschungsnetzwerk zur Förderung eines neuen Ansatzes in den Life Sciences, der Systembiologie. 2012 verfügte SystemsX.ch über ein Jahresbudget von rund 50 Mio. CHF, vereinte ca. 750 Mitarbeiter aus rund 250 Forschungsgruppen und war an 12 Universitäten, Hochschulen und Forschungsinstituten präsent. Mit diesen Dimensionen bewegt sich SystemsX.ch ausserhalb des courant normal schweizerischer Forschungsförderung. Diese wissenschaftliche Grossoffensive nahm ihren Anfang in den „Nullerjahren“, in einer Phase von wirtschaftlichen Unsicherheiten und Restrukturierungen.

Das Projekt fragt nach den Gründen für diese ausserordentliche Förderung. Um die Investition in einen zukunftsträchtigen, inhaltlich aber diffusen Ansatz der Lebenswissenschaften historisch zu erklären, muss man auch die Veränderungen von Wirtschaft und Wissenschaftspolitik in den 1990er Jahren betrachten: Die anhaltende wirtschaftliche Stagnation wurde in der Schweiz als Folge eines verpassten Strukturwandels in der globalisierten Weltwirtschaft gedeutet. Diese diffuse Problemwahrnehmung bildete den Boden für eine forschungspolitische Offensive. Im gleichen Zeitraum zeichnete sich mit der Terminierung des Humangenomprojekts und dem damit verbundenen Ende der molekulargenetischen Dominanz eine grundlegende Veränderung der Lebenswissenschaften ab. In dieser postgenomischen Transformationsphase der Life Sciences konsolidierte sich unter dem Begriff Systembiologie ein zugkräftiger Ansatz, der in Forschung und Wirtschaft grosse Erwartungen weckte. Daraus allein lässt sich die Entstehung von SystemsX und die millionenschwere Förderung des Systems Approach in der Schweiz aber noch nicht ableiten. Das Forschungsprojekt fragt deshalb nach den konkreten Aushandlungsprozessen, die SystemsX in seiner heutigen Form entstehen liessen. Es geht von der These aus, dass erst das Zusammenwirken von gesellschaftlichen, politischen und epistemischen Prozessen SystemsX ermöglichte: Erst die Rede vom „Netzwerk“ als Leitmetapher unserer Gesellschaft, der Umbau der Hochschullandschaft nach Prinzipien des New Public Management, der Konsens über die hohe Bedeutung von Spitzenforschung für den Standort Schweiz, die Deutung von Internationalität, Interdisziplinarität, Flexibilität und Projektstruktur als Erfolgsfaktoren wissenschaftlicher Forschung bereiteten den Boden für SystemsX. Im Zentrum des Forschungsprojekts stehen somit Netzwerke aus Wissenschaftlern, Politikern, Industrievertretern, Laboratorien, technischen Artefakten und Denk- und Redeweisen, die die Erforschung biologischer Netzwerke in der Systembiologie unterstützten und die in der Form von SystemsX.ch sichtbar wurden.

Mit der methodischen Disposition einer Wissensgeschichte wird nach den Akteuren, Orten, Redeweisen und Denkstilen gefragt, die SystemsX hervorgebracht haben. Das Forschungsprojekt untersucht mit SystemsX.ch eine charakteristische Form  schweizerischen Forschungs- und Wissenschaftspolitik in der globalisierten Konkurrenzsituation und mit der Systembiologie den wirkungsvollsten Stabilisierungsversuch der postgenomischen Life Sciences. Damit wir ein  Reflexionsraum über die Bedeutung von Forschung und Forschungsförderung in der Schweiz des 20. und 21. Jahrhunderts eröffnet und ein Einstieg in die jüngste Geschichte der Lebenswissenschaften geboten.

Das Projekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds SNF unterstützt.